Neueste Studien belegen Verhaltensmuster und Dinge, welche die ungarische Kinderärztin Emmi Pikler bereits in den 30er-Jahren erkannt hat. Wir als Jungeltern bzw. wir als Gesellschaft können mit einem Säugling von Geburt an kommunizieren. Diese Zugangsweise bietet eine wichtige Voraussetzung zur Entwicklung der Persönlichkeit und der zukünftigen Lebensqualität eines Kindes.
Emmi Pikler fasst die Aufgaben der erwachsenen Bezugsperson(en) dabei wie folgt zusammen: „Raum-Geben“, „Vertrauen-Schaffen“, „Bereitschaft-Zeigen“ und „Beobachten und Führen“.
Pikler beobachtete bereits zu ihrer Zeit das Phänomen, dass sehr gut behütete Kinder häufiger Unfälle erleiden als weniger behütete. Sie zog daraus ihre Rückschlüsse und konnte diese auch wissenschaftlich belegen.
Dieser Blogbeitrag soll einen kleinen Überblick über die physiotherapeutische und osteopathische Betrachtungsweise nach diesem wertvollen Zitat „Raum-Geben“ im Pikler Konzept aufzeigen.
Jungeltern zu sein ist in der heutigen Zeit manchmal nicht gerade leicht und „einfach“. Dabei sind gerade die „Einfachheit“ und das „Weniger ist mehr“ in vielen Dingen das, was die Weichen für eine gute Entwicklung stellt.
„Kommunikation“ von Anfang an – aber wie?
Kommunikation mit einem Säugling erfolgt nicht nur über Worte – Jungeltern kommunizieren über Berührungen mit ihrem Kind. Man sollte dabei aber bedenken, dass ein Kind 14 Tage braucht, um „in der Welt anzukommen“. In meiner Praxis erlebe ich täglich Erzählungen, dass Kinder unruhig geworden sind, nachdem die Eltern einige Tage nach der Geburt bei beispielsweise einer Familienfeier waren und das Kind zu allen Verwandten „durchgereicht“ wurde. Gut gemeint ist dabei leider nicht immer gut. Kinder reagieren sensibel auf Stimmen, Gerüche, Licht und Berührung. In den ersten 14 Tagen sollten wirklich bis auf wenige Ausnahmen nur die Eltern das Kind intensiv berühren, tragen etc. Diese Zeit ist auch notwendig, um das eigene Kind erst einmal kennenzulernen. Dies ist ein wertvoller Tipp, der viele Schwierigkeiten reduzieren kann, Schlafstörungen entgegenwirkt und Unruhe verhindern helfen kann.
Damit Ihr Kind von Anfang an aktiv in einen Dialog und die Kommunikation mit den Eltern und dem Umfeld eingebunden wird, ist es sinnvoll, beispielsweise bei der Pflege die Tätigkeiten „mitzuerzählen“. Erzählen Sie Ihrem Kind, dass es jetzt in die Badewanne zum Baden geht, dass es jetzt den Body angezogen bekommt, dass es jetzt gewickelt wird und Ähnliches. Kinder fühlen sich sicher durch Berührung. Somit „berühren“ Sie Ihr Kind intensiv und mit sicheren Handgriffen. Auch wenn sie einmal unsicher sind, bedenken sie dabei – ein Säugling hat bei einer natürlichen Geburt bereits eine starke Enge im Geburtskanal gespürt – daher wird ihn der Body an der engsten Stelle beim Anziehen gar nicht allzu sehr stören. All dieses Handling im Alltag ist die Voraussetzung für eine gute Körperwahrnehmung und motorische Entwicklung.
„Raum und Zeit“ geben – was genau ist damit gemeint?
Kommunikation wie eben beschrieben, bedeutet nicht Tag und Nacht alles zu kommentieren, was Ihr Kind macht. Sie müssen nicht ständig Ihr Kind „bespaßen“ und es keine Minute (wenn es sich in sicherer Umgebung befindet) aus den Augen lassen. Geben Sie ihm Raum und Zeit sich selbst zu beschäftigen und die Welt zu entdecken. Ein Säugling fördert sich selbst ohne Ihr Zutun von früh bis spät. Das beste „Hilfsmittel“ dazu ist eine Decke auf dem Boden, auf der Ihr Neugeborenes sowohl in Rücken- aber auch in Bauchlage die Welt erforschen kann. Jedes Kind braucht Zeit für den nächsten Entwicklungsschritt.
Diese wertvolle Zeit müssen wir Erwachsene unseren Kindern geben. In der heutigen Zeit dominiert das Phänomen „dass alles schnell gehen muss“ – es wird „nur“ etwas nachgeholfen, dass das Kind aufstehen oder gehen kann – diese Dinge sind für Ihr Kind in seiner Entwicklung wirklich kontraproduktiv. Ein Kind sollte erst aufstehen, wenn es die nötige Muskulatur hat sich aufzurichten. Für das Gehen bzw. vorab schon das Sitzen gilt das Gleiche. Geben Sie Ihrem Kind im ersten Lebensjahr diese wertvolle Zeit und unterschätzen Sie diese Entwicklungsschritte nicht. Leider kommen viele ältere Kinder im Schulalter in meine Praxis mit Wirbelsäulenproblemen etc. Geben Sie Ihrem Säugling Zeit, seine Muskulatur auf das spätere Leben selbst gut vorzubereiten – und verhindern Sie dadurch spätere Probleme.
Die Bauchlage – nach wie vor ein „Stiefkind“ in den ersten Lebensmonaten
Die Bauchlage ist für die motorische Entwicklung Ihres Kindes immens wichtig. Sollten Sie für sich selbst ein ungutes Gefühl haben, Ihr Kind auf den Bauch zu legen, legen oder hocken Sie sich dazu. Beobachten Sie Ihr Kind in dieser Position. Kinder sind mit einem Reflex ausgestattet, der ein Ersticken in Bauchlage verhindert. Durch diesen Reflex drehen sie ihren Kopf von Beginn an gekonnt in eine Seite und bekommen so gut Luft.
Sollte Ihr Kind es absolut verweigern, Bauch- oder Rückenlage einzunehmen, rate ich Ihnen unbedingt eine PhysiotherapeutIn und/oder OsteopathIn aufzusuchen. Dies ist ein sicheres Zeichen dafür, dass Ihr Kind in einer Art und Weise blockiert ist, eine Asymmetrie vorliegt und/oder eine Tonuslage (Beuge- oder Streckmuster) dominiert. Mit „Beuge- oder Streckmuster“ ist gemeint dass Ihr Kind eine jeweilige „Lage“ bevorzugt (Bauch- oder Rückenlage) und sich in anderen Positionen unwohl fühlt und diese nicht einnehmen möchte.
Ständiges Tragen Ihres Kindes und das Vermeiden vom Ablegen des Kindes ist nicht die Lösung für dieses vorliegende Problem. Nehmen Sie solche Alltagsprobleme ernst. Kinder nehmen Behandlungen in diesem frühen Stadium sehr gut und leicht an und Sie als Eltern werden gut und fachlich eingeschult. Dies ist nicht nur wichtig für Ihr Kind, es erleichtert auch ungemein Ihren Alltag und entlastet Sie dauerhaft.
Für die motorische Entwicklung (https://www.praxis8111.at/spezialgebiete/baby-und-kleinkind/#motorischeEntwicklung)Ihres Kindes ist es immens wichtig, dass Ihr Kind von Beginn an flach auf dem Boden liegen kann, um sich gut weiterentwickeln zu können. Nur wenn Ihr Kind sich selbst erleben und erfahren kann, bekommt es Vertrauen in die eigene Bewegung und die eigenen Fähigkeiten. Ständiges Unterbrechen und „Dazukommentieren“ ist kontraproduktiv – ebenso wie lärmendes und lichtgesteuertes Spielzeug. Diese „Bespaßung“ nervt erfahrungsgemäß auch die Eltern mit der Zeit. Mitunter nimmt es Ihrem Kind auch leider die Neugier seine Umwelt und Umgebung selbst zu erfahren. Dies ist ähnlich „gefährlich“ wie später die ständige „Bespaßung“ mit Handy, Tablet und Fernseher – Kinder müssen sich dadurch nicht mehr mit sich selbst auseinandersetzen. Die Frustrationstoleranz von Kindern sinkt dadurch und ein Teufelskreis beginnt.
Geben Sie nicht auf – auch wenn Ihr Kind einmal quengelt oder unruhig ist – dieser Frust und die motorischen Sackgassen (wenn es ein Spielzeug zum Beispiel noch nicht erreicht) gehören im Babyalltag dazu – sie werden den Erfolg in der Entwicklung Ihres Kinder später deutlich bemerken.
„Weniger ist mehr“
Kinder benötigen in den ersten Lebensmonaten (und auch später) nur wenig Spielzeug. Sie fördern und entwickeln sich über den Alltag und die Kommunikation mit ihrem Umfeld. Daher nehmen sie sich noch einmal die bereits erwähnte „Zeit“ für Essen, Trinken, Anziehen, Wickeln, Baden und was noch so alles im Babyalltag anfällt. Essen sollte beispielsweise keine „Spielzeit“ sein. Essen ist Nahrungsaufnahme und kein Spiel. Lenken Sie ihr Kind nicht ab, indem Sie neben dem Essen ein Buch lesen, Spielzeug benutzen oder Ähnliches. Später soll das Kind ja auch nicht neben dem Essen Fernsehen. Kinder sollen sich auf die Tätigkeit, die es gerade zu tun gilt, konzentrieren. Pädagogen schlagen Alarm, dass Kinder ihre Aufmerksamkeit zunehmend schlechter halten können. Diese Dinge beginnen leider tatsächlich und erwiesenermaßen beim Säugling. Der Alltag ist das „A und O“ in der Entwicklung Ihres Kindes. Hören Sie auf damit, sich bei Alltagshandlungen „zu stressen“, um im Anschluss genug Zeit „für das Spielen“ zu haben. Das Spiel an sich ist für das Kind und seine Entwicklung nicht so vorrangig. Es lernt sehr viel durch das, was wir vorleben und erforscht die Welt in erster Linie durch seinen Alltag. Diese tägliche Routine vermittelt einem Säugling Vertrauen und Sicherheit in seiner Welt.